"'Eine neue Ordnung der Dinge': Sozialer und kultureller Wandel in den brieflichen und journalistischen Netzwerken Heinrich von Kleists"
Christian Moser
Wir freuen uns, ein größeres internationales Forschungsprojekt ankündigen zu können, das gemeinsam von Seán Allan (St Andrews/Bonn), Elke Dubbels (Osnabrück), Elystan Griffiths (Birmingham) und Christian Moser (Bonn/St Andrews) geleitet wird. Das Projekt mit dem Titel „‚Eine neue Ordnung der Dinge‘: Sozialer und kultureller Wandel in den brieflichen und journalistischen Netzwerken Heinrich von Kleists” wird ab Februar 2026 für drei Jahre vom britischen Arts and Humanities Research Council (AHRC) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.[1]
Es wird u.a. zwei Postdoc-Stellen finanzieren, eine in Großbritannien und eine in Deutschland, sowie eine große internationale Konferenz, die im Juli 2027 an der Universität Birmingham stattfinden soll. Im Fokus unserer Forschung stehen die Vernetzungspraktiken des deutschen Schriftstellers Heinrich von Kleist (1777-1811), die er im Rahmen seiner umfangreichen Briefkorrespondenz sowie seiner innovativen journalistischen Projekte betrieben hat.
Unser Projekt will Kleists Netzwerke im Hinblick auf fünf Schlüsselbereiche untersuchen: (1) Politik, (2) Militär, (3) Ökonomie, (4) Kommunikation und Verkehr sowie (5) die visuellen Künste. Wir werden genauer erforschen, wie Kleist bestehende Netzwerke nutzte und neue schuf, indem wir uns auf das Zusammenspiel zwischen öffentlicher Kommunikation in seinen Zeitschriften und privater Kommunikation in seinen Briefen sowie in halböffentlichen Foren wie den Berliner und Dresdner Salons konzentrieren. Der Zeitpunkt für unsere Forschungen ist günstig, da Hermann Weiss kürzlich fünf bisher unbekannte Briefe Kleists an den österreichischen Geschäftsträger in Dresden, Joseph von Buol-Berenberg, sowie eine Fülle neuer Archivquellen im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck entdeckt hat.
Ein Jahr vor der desaströsen Niederlage Preußens gegen Napoleon Bonaparte im Jahr 1806 brachte der deutsche Schriftsteller Heinrich von Kleist (1777–1811) seine Vorstellung von einer „neuen Ordnung der Dinge“ zum Ausdruck, die durch den Expansionismus Napoleons in Europa ausgelöst worden war. In den folgenden Jahren reagierte Kleist auf diese politischen und kulturellen Umwälzungen, indem er als Journalist und Herausgeber der Kunstzeitschrift Phöbus (1808), der geplanten nationalistischen Zeitschrift Germania (1809) und der ersten Berliner Tageszeitung, der Berliner Abendblätter (1810–11), eine Reihe von Netzwerken aufbaute. Ein wichtiges Element dieser Vernetzungsaktivitäten war die umfangreiche Briefkorrespondenz, die Kleist mit wichtigen kulturellen und politischen Persönlichkeiten in Deutschland und darüber hinaus unterhielt.
Vernetzung zur Erforschung der 'Vernetzte Kreativität' des 19. Jahrhunderts und ein differierter Blick auf Autorschaft
Um die sozialen, politischen und ästhetischen Implikationen von Kleists Journalistik und Briefkorrespondenz besser verstehen zu können, ist ein neuer methodischer Ansatz erforderlich, der weniger auf den Einzelnen ausgerichtet ist und sich stärker an kollektiven Netzwerken orientiert. Indem wir Kleists Werk in breiteren kreativen und intellektuellen Netzwerken positionieren, liefern wir ein analytisches Modell für die zukünftige Erforschung der „vernetzten“ Kulturen des 19. Jahrhunderts und entfernen uns von Paradigmen der Kreativität, die sich typischerweise auf das einsame (männliche) Genie konzentrieren. Unser Ziel ist es, das Verständnis von Autorschaft um 1800 zu vertiefen und zu differenzieren.
Wir beabsichtigen, unsere Forschungsergebnisse in einer umfangreichen (gemeinsam verfassten) monographischen Studie mit dem Titel „Vernetzte Kreativität. Heinrich von Kleist und das napoleonische Europa” zu publizieren. Zuvor werden wir unseren Ansatz auf einer internationalen Tagung mit dem Titel „A New Order of Things: Heinrich von Kleist and Napoleonic Germany” erproben, die im Juli 2027 in Birmingham abgehalten werden soll. Dazu möchten wir Forscher:innen einladen, die Kleists Netzwerke in benachbarten Bereichen wie Recht, Musik, Theater, Philosophie und Wissenschaft analysieren. Die Beiträge zu dieser Tagung sollen in einem Sammelband publiziert werden. Überdies planen wir, die weltweiten Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag Kleists im Jahr 2027 zu nutzen, um ausgewählte Texte des Journalisten und Briefschreibers Kleist erstmals ins Englische zu übersetzen und im Open-Access-Format zu veröffentlichen.
Wir wünschen dem Forschenden einen produktiven Start und viel Erfolg für die kommenden Forschungsphasen. Die geplanten Tagungen, Publikationen und internationalen Begegnungen bieten spannende Einblicke in Kleists weit verzweigtes Kommunikations- und Ideennetzwerk – und wir freuen uns darauf, diese Aktivitäten an unserer Fakultät mitzuerleben und zu unterstützen. Besonders gespannt sind wir auf die Impulse, die das Projekt für die Kleist-Forschung, für Netzwerkansätze und für die internationale Literatur- und Kulturwissenschaft setzen wird. Wir danken allen Beteiligten und freuen uns auf die Ergebnisse, die aus dieser vorbildlichen Kooperation hervorgehen werden.